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3 giugno 2006






Die Menschen in der Karibik und in anderen früheren Kolonialgebieten feiern alljährlich die Befreiung aus der Sklaverei. Die Juden feiern den Auszug aus der Knechtschaft in Aegypten. Vorstösse im Nationalrat drängen die Schweizer Behörden, die familiären, die unternehmerischen, die finanziellen und die militärischen Verstrickungen der Schweiz mit der Sklaverei im 16.-19. Jahrhundert aufzuarbeiten. Die französische Republik führte dieses Jahr erstmals einen jährlich zu wiederholenden Gedenktag durch zur Erinnerung an die Mitschuld Frankreichs am Verbrechen der Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das gab mir den Anstoss, das Thema zum Gegen-stand des heutigen Vortrags zu machen, das mich schon immer beim Segeln beschäftigt hat: Unser Sport ist ökologisch vom Feinsten. Einmal gebaut, funktionieren unserer Boote abfallfrei und ohne Vernichtung von Resourcen. Aber bis sie hergestellt und danach bemannt und immer wieder gepflegt sind, beschäftigen wir Personal zur Verwirklichung unserer Lust. Wir kaufen uns die Gehilfenschaft mittels Entlöhnung - oder lachen sie uns an. Als Boots-frau zumeist. Befehlen im Stressfall auch schnell einmal herum. Die Freiheit der Schifffahrt wird dadurch für uns selber und für die, welche uns dienlich oder dienstbar sind, zur Quelle von Unfreiheit. Dies ist das Thema des Vortrags – der damit bereits begonnen hat 




Der Mensch als ausgereifter Fötus ist unfrei geboren. In der Frage des Überlebens ist er wehrlos abhängig von der Gebärenden und ihrer Umgebung. Allmählich nimmt die Unfreiheit des Kindes von Brust, Laufgitter, familiärer Erziehungs-gewalt, Kirche und Staat ab. Wenn er sich ein Bötchen bastelt und vom Ufer abstosst ist er frei.

Solange Durst und Hunger nicht neue Zwänge schaffen. Zwischen Bötchenabstossen und Stillung des Versorgungsbedarfs verläuft die Freiheit der Seefahrt, die Freiheit der Meere. Die vielgepriesene, die zumeist romantisierte Freiheit, die uns Segler mit Fallen und Schoten – vertakelt, verspleisst – verknüpft.

In dieser herrlichen Freiheit nistet die Unfreiheit. Die eigene - und die, welche man den Mitmenschen aufzwingt, deren man habhaft wird. Beim Kinderzank im Laufgitter, im Arbeitsprozess, auf dem Standes-amt. Anderer Leute habhaft sein, über andere zu gebieten, ist die Voraussetzung aller Schifffahrt. Die hässliche Frucht der Freiheit. Nur Einhandsegler kommen darum herum. In Einzelfällen und vorübergehend.

So ist dieser Vortrag im Yacht Club bei aller Heiterkeit der Formu-lierung eine Klage, eine Wortsuche für etwas, von dem man leichthin sagt: „Es ist ein Jammer“. Möchte doch ein jeder, dem die Seefahrt ein freiheitschaffendes Kulturgut ist, auch den Mitmenschen die erstrebte Seefahrerfreiheit gönnen? Die Lebensnot zwingt indessen zum Verbrauch von Dienstleistungen, zum Delegieren von Bemühung an Gehorchende. Zum Dienstbar-machen. Zum sich umgeben mit Dienern - oder dienstfertigen Gefährten. Denn auch Gefährten, Weggenossen, stehen unter Zwang sich in Hierarchien zu strukturieren. Hierarchie fusst auf Macht zur Repression, auf Stärke zum Brechen abweichenden Willens. Penalisierung schon in der mildesten Form. Der Androhung des Liebesentzugs. Vorstufe des Mobbings, das am Ende einer Atlantiküberquerung in der Nervenheilanstalt enden kann.


Es gibt Alleingänger, die in einem vereinzelten Alleingang das Menschenmögliche vollbringen. Messmer, der alleine es auf den Mount Everest schafft. Lindbergh der als erster solo den Atlantik überflog. Chichester, der im Segelboot allein die Erdkugel umrundete. Picard, der im Ballon den Globus  umflog. Jesus, von dem die Evangelien sagen, er habe es gekonnt, barfüssig und nur auf sich selber gestellt, auf dem See Genezareth einherzugehen.


Alle diese Eskapaden sind im Leben der Betreffenden von beschränkter Dauer. Die Butter im Sandwich vorausgehender und nachfolgender Abhängigkeit von Dienstleistern.

Vom hierarchisch geforderten Dienst des Freundes, vom Aufräumgeheiss im Kinderzimmer, vom Küchendienst im Ferienlager, vom Mittun in der Eimerkette beim Löschen einer Feuersbrunst, vom Feuerbefehl im Erschiessungs-peloton des militärischen Vollzugs einer Todesstrafe, vom Befehl des Yachtskipper zum Bergen des Vorsegels bei Sturm, vom Fordern und Erfüllen der Gehorsamspflicht also, bis hin zum Opfer verlan-genden Befehl im Notstand. Von diesem zur Zwangsarbeit, von der Zwangsarbeit zum Dasein als Sklave, ist der Übergang fliessend. 

Wohlhabender Grieche lässt sich vom Sklaven zu Gastmälern begleiten, damit er ihm beim Auskotzen die Stirne hält. (Attische Rund-schale, um 490 v. Chr. (Antikenmuseum Berlin

Von einem Sklaven, bei der Zwangsarbeit unterscheidet sich der Zwangsarbeiter, der nicht Sklave ist, dadurch, dass Sklaven gehalten werden. Zwangsarbeiter sind keine Sklaven, dann, wenn sie über ihre Freizeit und die Fähigkeit freie Kinder zu zeugen, verfügen. Gehen sie dieser Verfügungsfreiheit verlustig, kann ihr Besitzer sie nach Willkür zum Zeugungsakt zulassen oder sie davon abhalten, sind sie versklavt.

Auf einem Schiff, besonders auf einer kleinen Yacht im Ozean, ist die Mobilität als Freizeit-Freiheit weitgehend beschränkt. Die Aussteigechance und die Flucht-chance ist da zumeist null. Wer als Crew einer seegehenden Yacht sich aus der Gefährtenschaft-Beziehung ausschliesst, oder daraus ausge-schlossen wird, aber dennoch am Segelhandwerk Hand anlegen muss, ist Sklave auf Zeit. So nah also liegt das Segelvergnügen beim allerletzten, was aus einem Menschen werden kann. Sklave. Die kleine, sowohl zeitliche als auch räumliche unheimlich kleine Distanz zwischen diesen zwei Extremen, gilt nicht nur für Segler. Den Millionen Menschen, die aus dem familiären Alltag Europas in den Holocaust versetzt wurden erging es ebenso. Professor Wolfgang Benz von der Technischen Universität Berlin fasst das so zusammen:

Zwangsarbeit gab es im NS-Staat in vielfacher Form, als „geschlossenen Arbeitseinsatz“ von Nichtariern ab 1938, durch Rekrutierung von „Fremdarbeitern“, Kriegsge-fangenen und KZ-Häftlingen. 1944 arbeiteten 5,9 Millionen Ausländer, 1,9 Millionen Kriegsgefangene, 400 000 Häftlinge im Deutschen Reich, es existierten 30 000 Arbeitslager. Die Zwangsarbeit diente der politischen und öko-nomischen Herrschaftssicherung und spielte in der Rüstungswirt-schaft eine große Rolle“.


 
Papst Benedikt XVI. grüsst die totgeschundenen

Sklaven von Degussa, Siemens und I.G. Farben.

 


Der Sklave, die Sklavin gehört mit Haut und Haar ihrem Besitzer. Auschwitz produzierte im Tag 600 kg frischgeschnittenes Frauenhaar. Schönhäutige konnten als Rohmaterial für Lederartikel ausge-sondert werden. 

Nicht immer gelangt Sklaverei-wirtschaft zu einem Ende aus sich heraus, wie das in der Sowietunion phasenweise der Fall war. Alexander Berkmann in ABC des Anarchismus, schrieb 1929: 

Zwangsarbeit „taugte nichts, weil eine Armee von Funktionären erforderlich war, um die Leute daraufhin zu kontrollieren, ob sie arbeiteten oder nicht arbeiteten. Das führte zu Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen sowie endlosen Streitigkeiten über die Entscheidungen der Funktionäre. 

Bei dem Versuch, die Menschen zur Arbeit zu zwingen und zu kontrollieren, ob sie sich nicht drückten oder schlechte Arbeit leisteten, verdoppelte, ja verdrei-fachte sich sogar die Anzahl der Leute, die nicht arbeiteten. Das System der Zwangsarbeit erwies sich bald als so schlecht, daß es von den Bolschewisten aufgegeben werden mußte.“ Ende des Zitats. In den Gulags dauerte das System fort.

Vor dem Hintergrund dieser jüngsten Epochen der Barbarei in der abendländischen Zivilisation, kann es frivol anmuten, sich beim Thema der Versklavung eines gemobbten Vorschoters auf der Atlantiküberquerung aufzuhalten. Doch vermag gerade ein solches, banal scheinendes Einzelvorkomm-nis des Yachtsportalltags dazu dienen, sich als Segler an das Thema „Freiheit der Schifffahrt, Mutter der Unfreiheit“ heran-zutasten.

In seltenen Fällen gibt es auch auf hoher See Entrinnen aus der Sklaverei. Hier ein Beispiel von einer Indienfahrt aus der Zeit der grossen Segelschiffe:

„Als wir in einen starken Orkan vor Borneo gerieten – ich war nun ungefähr ein halbes Jahr geschanghait an Bord – nutzte ich das Durcheinander auf der “Schönen Kathrein” und sprang einem Beiboot hinterher, das vor meinen Augen vom Orkan von Bord gerissen worden war. Aus heutiger Sicht betrachtet war es sehr leichtsinnig, was ich tat, aber ich erreichte das Boot und überlebte mit viel Glück das tosende Inferno um mich herum. Das Beiboot war sehr seetüchtig konstruiert und wuchs mir in den nächsten Tagen richtig ans Herz…“ (Aus: Jan Schmietwechs See-mannsgarn).

Das Wort „geschanghait“ deutet darauf hin, dass das, was das Wort bedeutet zunächst vor allem in Shanghai geschah, bald aber über die ganze Segelschiffwelt sich verbreitete. In Hamburg, in London und in den Häfen des nordameri- kanischen Neuengland besonders verbreitet war. Es bedeutet, Men-schen gegen ihren Willen mit Gewalt oder Heimtücke in den Dienst zu pressen - auf Kriegs-schiffen und Kauffahrteischiffen, die unter Vollzeug riesiger Takelagen durch die Ozeane gepeitscht wurden und Unmengen Menschen verschlissen. In Shanghai nahm das Shanghaien seinen Ausgang, weil es dort, infolge des grossen Elends der Kaiserzeit Heere sogenannter für geringstes Entgeld anstehender Kulis gab. Geshangheit wurden von bewaffneten Pressgangs Menschen auf offener Strasse, in Häfen, in Vergüngungsvierteln, in Vororten, auf Dörfern. Die Opfer wurden militärisch an Bord geschleppt oder in Kneipen betrunken gemacht und erwachten in Ketten in Bäuchen von Schiffen, die bereits das offene Meer gewonnen hatten. Wer die Gefahren und Leiden überstand: aus den Rahen zu stürzen, über Deck gewaschen zu werden, mit Stöcken geprügelt und mit Lederpeitschen gegeisselt, wenn nicht gar kielgeholt zu werden, wer Erniedrigung, harte Arbeit schlechte Kost, Skorbut und Schlaf in nassen Hängematten überlebte, gelangte oft erst nach vielen Jahren wieder, wenn überhaupt, in seine Heimat, zu seiner Familie zurück.

Der Kern zum Sklavenwesen in der Schifffahrt ist in aller Unschuld als Erfahrungswert längst vergangener Jahrhunderte erhalten geblieben in der Verordnung für Yachten unter Schweizer Flagge auf hoher See und sogar im Schweizerischen Bundesgesetzes über die Schifffahrt auf Binnengewässern, dem gesetzlichen Rahmen unserer kleinen Fahrten mit Segelbooten auf dem Lago Maggiore. In Artikel 22 dieser Verordnung heißt es:

„Droht unmittelbare Gefahr, so hat der Schiffsführer, um Schaden zu verhüten, alles vorzukehren, auch wenn er Vorschriften verletzen muss“.

Die Disziplinargewalt des Schiffsführers öffnet diesem einen, einzig vom gesunden Menschen-verstand begrenzten Handlungs-spielraum, der reichen kann bis zum Waffengebrauch gegen Befehlsverweigerer, gegen Meute-rer, die die Sicherheit gefährden. Auf grosser Fahrt der Frachtsegler konnte es nicht nur für die geschanghaite, von einem Schiff zum andern verschacherten Seeleute, sondern auch für Schiff und Kapitäne Jahre dauern, bis diese in den Heimathafen, wo der Reeder sass, zurückkehrten. Entsprechend waren die Kapitäne für Missbrauch ihrer gesetzlichen Disziplinargewalt oft kaum belangbar. Sie waren dann praktisch unumschränkte Herrscher über ihre bis in die Hunderte gehende Besatzung; Herr über Zeit, Arbeitskraft, Erhängung, Ersäufung; Herrscher über Leben und Tod ihrer Seeleute. Wenn der Alte wollte, waren sie seine Sklaven. 

Waren die Seeleute aus Gefängnissen, Armenvierteln und Spelunken zur Seefahrt gepresst, worden, dienten sie dement-sprechend nur unwillig, erzeugten Ärgernis und Strafe. So stand ihrem Abgleiten in die Versklavung nichts im Wege.

Erst nach Gründung des Völker-bundes in Genf entstand 1926 das Internationale Übereinkommen über die Sklaverei. Es bestimmt in einem (zurückhaltend formulierten) Programm, „dass zweckmäßige Maßnahmen ergriffen werden sollen, um zu verhüten, daß die Pflicht- oder Zwangsarbeit der Sklaverei ähnliche Zustände herbeiführt, und daß das „Zusätzliche Übereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklaverei-ähnlicher Einrichtungen und Gepflogenheiten, die völlige Abschaffung der Schuldknecht-schaft und der Leibeigenschaft vorsieht.“ – Ab wann, was denken Sie? – Ab 1959. 

Das Schiff im freien Wasser ist ein selbständiger Kosmos. Sein Autonomiebedürfnis ist die natürliche Folge. Obwohl es aber stets unzählig viele Seeleute gab, aber verhältnismässig stets nur wenige Kapitäne, ist es erstaunlich, dass die Freiheit der Seefahrt überall einen stets hohen Stellenwert geniesst.

Dem Heiland wäre es vielleicht nie eingefallen, mit einem Ruderboot zu den Bauersleuten und Hirten aufs Feld hinaus zu fahren. Das wäre zwar auch ein grosses Wunder gewesen, ein Mann im Ruderboot, das durch die Ackerfurchen pflügt. Der Wirkung jedoch hätte die völkerfaszinierende Brillanz des Unterfangens gefehlt. Daraus lässt sich schliessen, dass die Freiheit der Seefahrt bei den Völkern der Antike als bedeutsamer empfunden wurde und höher eingestuft war, als die Freiheit übers Feld zu gehen.

Das Reisenkönnen ohne Strasse und Brücke, unbehindert von Flussfurten und Bergübergängen, ohne Rücksicht auf die hemmenden Bedürfnisse von Trägern, Reit- und Lasttieren – die Freiheit der Schiff-fahrt ist ein Schlüsselthema in den Mythen der Menschheit. Ohne Schiffe wären die Griechen Homers nicht nach Troja gekommen. - Ohne Schiffe wäre der Tempel Salamos eine lausige Hütte geblieben.

Im „1.Buch der Könige“ heisst es: „Auch Schiffe baute König Salomo … und sandte auf den Schiffen seine Knechte und sie fuhren nach Ophir und holten von dort 420 Talente Gold.“ Das waren etwa 23'000 Kg. Goldfracht. Hinzu kam das Frachtgewicht der Knechte und ihres Haushalts. Dazu grosse Mengen Sandelholz. Alle Baustoffe, aller Prunk kamen auf Schiffen übers Meer. (Das Land Ophir konnte von der Altertums-forschungnicht lokalisiert werden. Spekulationen verweisen auf Südafrika.)

                                                                                                               Arabische Seeleute - Irakische Handschrift


Die Wirtschaft in den Zivilisationen der Antike war auf Sklavenhaltung aufgebaut. Besonders das Bauwesen, der Haushalt, die Dienst-leistungen, das Erziehungswesen gar, das Handwerk, die Bergwerke und das Verhüttungswesen.

Römischer Kriegsgefangener in Ketten der Versklavung                                                                                                                   


Anders, als man annehmen möchten, war jedoch der Betrieb der Schifffahrt im Mittelmeer, im Schwarzen Meer und im Roten Meer nicht das Produkt rudernder Sklaven. Die langen mehrstöckigen Kriegsruderschiffe, Biremen, Tri-remen usw., denen im Mittelalter und in der Neuzeit die Sklavengaleeren nachempfunden waren, wurden von Freien niedrigen Standes, entlöhnten Knechten vielleicht, in rasante Rammfahrt gebracht. Dem Lang-streckenverkehr, der aber nur in der warmen Jahreszeit vor sich ging, dienten Segel. Im alten und neuen Testament sind die Schiffsleute mit dem Begriff „Knechte“ bezeichnet, wie ja auch Könige und Propheten als niemandem hörige Knechte Gottes auftreten. Der Schiffsdienst in der Zeit des Alten Testaments war also nicht eine Auflösung der Menschenwürde.

 Die tüchtige Hausfrau wird gar vom Lieddichter Salomo mit einer würdig einhersegelnden Flotte verglichen: „gleich Kaufmanns-schiffen holt sie Nahrung …“. 

 Laut Apostelgeschichte versuchte man an Bord eines römischen Handelsschiffes sogar Demokratie. Denn es heisst in der Beschreibung einer Mittelmeer-überquerung des Apostel Paulus mit 276 Passagieren und Mann-schaft: „Weil der Hafen ungeeignet war, fasst die Mehrheit den Beschluss, von da weiter zu fahren“. Majorzsystem an Bord. Sowas vernimmt man selten. Kaum ist aber Gefahr im Anzug, tritt die bei Uneinigkeit an Bord die immer und überall übliche Versklavungs-keule in Aktion: „Als aber die Schiffsleute aus dem Schiff zu entfliehen suchten und das Rettungsboot ins Meer hinab-gelassen hatten, sagte Paulus zu den Marinefüsilieren und ihrem Hauptmann „Wenn diese nicht im Schiff bleiben, könnt ihr nicht gerettet werden. Da hieben die Soldaten die Taue des Bootes ab und liessen es treiben.“ Das Fluchtmittel entschwand. Die Matrosen waren nun wieder unter Zwang und fremdbestimmt.

Römischer Holzanker. Vermutlich mit Bleistock. Nachbau: Dipl. Ing. ETH  Otto Goetz

Besteht die Bemannung der Schiffe der frühen Antike auch nicht aus Leibeigenen, so dient doch die Schifffahrt der Beschaffung des wichtigsten Energiepakets der antiken Wirtschaft. Der Beschaffung von Sklaven. 

 Vom Hindukusch zum Kaspischen Meer, von den Schwarzmeer-ländern an den Bosporus, vom Kaukasus nach Syrien, von der Vielvölkerwelt Kleinasiens an die Dardanellen erstreckte sich ein unabgegrenztes Gebiet ständiger Kriegswirren. Diese haben als Ergebnis - und oft als Selbstzweck - die Erbeutung von Sklaven. Für alle Zivilisationen des Altertums gelten die bezwungenen Kampfgegner und ihre Kinder und Frauen und die Embrionen in deren Bäuchen, gleich den Hölzern aus den Wäldern, als Sache. Die Unter-legenen können besessen werden, gebraucht, veräussert, sexuell ausgebeutet, gezüchtigt, verstüm-melt, zu Tode geschunden werden; hingerichtet werden; in Massen entleibt werden wie Kälber „zu Ehren der Götter“; wie Weihrauch verbrannt, wie im 20. Jahrhundert Juden, Bibelforscher, Schwule und Zigeuner mitten im Leben eingeäschert werden. Um solcher Skla-ven in Massen habhaft zu werden, segeln die Griechen in Homers mythischer Erzählung in die Meerenge der Dardanellen; nach Troja.

Wenngleich die Sklaven einen beträchtlichen Teil des Kapitals eines Gutsherren ausmachte, so zögert im XXII Gesang der Odysse der segelmüde aber zornig heim-gekehrte Odysseus nicht, 50 seiner Mägde aus dem Sklavinnenhaus wegen Frivolität abzustrafen, indem er sie in langer Reihe aufhängen liess, so dass sie „wie die fliegen-den Vögel, Drosseln oder Tauben, in Schlingen geraten… also mit den Häuptern beieinander hingen, alle mit den Schlingen um den Hals und den jämmerlichen Tod starben, mit den Füssen noch einwenig zap-pelten, aber nicht mehr lange…“

 Da die Sklaven einen aus Qualität, Angebot und Nachfrage, Fracht-spesen, und Lagerkosten sich ergebenden Handelspreis hatten, gesellte sich im Lauf der Verfeine-rung des Marktes der Warengattung Beutesklaven gelegentlich die Gattung Kaufsklaven hinzu. Arme und verarmte Menschen konnten sich gegen Darlehen verpfänden und wurde bei Insolvenz Kauf-sklave. Manipulierware gleich den Beutesklaven. Damit kamen die Seeräuber als Sklavenproduzenten an den Markt. Sie überfielen Schiffe, Uferdörfer, die wie Ronco sopra Ascona aus Defensivgründen auf steile Hügel gebaut waren, und sie überfielen Inseln und entführten die ganze Bevölkerung in Gebiete, wo gerade die grösste Nachfrage für Sklaven war. Eine Untergattung sowohl der Kriegsbeutesklaven als auch der Raubsklaven waren Angehörige reicher Familien, hochstehend gewesene Kriegs-gefangene, prominente Passagier und Offiziere von überfallenen Schiffen. Ein Netz von Agenten, amtlichen und privaten, über-spannte das Mittelmeergebiet, Europa und Nordafrika um lösegeldwertverdächtige Sklaven ausfindig zu machen und weh-klagenden Angehörigen die Lösegeldforderungen der Piraten gegen Provision zu vermitteln.

Das wäre vielleicht so, ohne direkte Versklavung der Seeleute, weiter-gegangen, wäre nicht eine starke Verknappung des Seeleuteangebots hinzugekommen. Sie war bedingt durch den Zerfall des römischen Reiches einerseits. Und anderseits brauchte man fortan grosse Mengen von Rudersklaven, seit die Verbes-serung der Seekriegsführung mittels Galeeren im Zuge der Kriege gegen Karthago, grosse Fortschritte gemacht hatte. Nun fuhr man mit Rudergaleeren lange Strecken, brauchte bestmögliche Stosskraft im Rammangriff und hurtige Beweglichkeit, um dem schwimmenden Griechischen Feuer auszuweichen und den Brandern zu entkommen (angezündeten Schif-fen, die der Feind im Schlacht-gewühl brennend umhertreiben liess). Die etwa 1000 Jahre währende Zeit der Galeerensklaven war angebrochen.



 



Galère La Dauphine des Königs von Frankreich,                  Sonnenkönig Louis XIV, 18. Jh.

Auf dem Festland wurde man für Verbrechen, echte und erlogene, dazu verurteilt, lebenslänglich auf Galeeren zu rudern. In Eisen geschlagen. Mit Peitschenhieben in Takt gehalten. 

 

Im Binnenland verkaufte die Obrigkeit die Verurteilten auf die Galeeren der Seemächte. Das hat auch schweizerische Obrigkeit getan. 950 Schweizer ruderten angekettet auf den französischen Galeeren in der Zeit zwischen 1650 und 1790.

Noch zu Ende des 18. Jahrhunderts, zur Zeit der beginnenden Französischen Revo-lution, veräusserte die Tagsatzung der alten Schweizer Orte 40 Söldner des Schweizer Regiments Lullin de Châteauvieux aus Solothurn und anderen Orten, die in Frankreich mit dem aufständischen Volk fraternisiert hatten, nach Brest auf die Galeeren des Königs Louis XVI. 39 Überlebende wurden bald darauf befreit, durch die  Jakobiner der französischen Revolution und mit ihren roten Sträflingsmützen – Phrygiermütze – im Triumph nach Paris in die Nationalversammlung



Ihre Phryghiermütze wurde weltweit zum Symbol der Volksfreiheit

Heutiger Stempel des Friedensrichteramts des Tessiner Inselbezirks ISOLE di Brissago    


Im schweiznahen Mittelmeerhafen Livorno gab es im 17. und 18 Jahrhundert ein grosses Depot für europäische und nordafrikanische Sklaven, die von Galeeren, deren Ruderbesatzung durch Krieg, Krankheit oder Erschöpfung dezimiert war, gebunkert werden konnten, wie heute Kohlen oder Diesel. In der Wartezeit wurde die Sklavenbelegschaft von Livorno für den Hafenbau und Hafendienste  und verwendet. Der grosse Gönner von Brissago, Antonio Francesco Branca (1714-1778) – Erbauer des heute gemeindeeigenen Palastes Casa Branca-Baccala und Stifter der Wallfahrtskirche Sacro Monte im hiesigen Sacro Monte Tal  wirkte in jener Zeit als Reeder in Livorno von wo aus er eine Anzahl  Frachtschiffe bereederte. Im Handel und Transportgeschäft zwischen Ligurien und der Sklavenwirtschaft Russlands gelangte er zu einem gigantischen Vermögen und bei den Dörflern am Lago Maggiore zum Beinamen „il Moscovito“, mit dem er noch heute bezeichnet wird.

  Ob und allenfalls in welcher Weise A. F. Branca und seine die Reederei fortführenden Söhne  von der Präsenz unzähliger auf die Schiffe und zu den Hafenbauten von Livorno und St. Petersburg abgeführter Seefahrtssklaven menschlich gerührt oder aber unternehmerisch bevorteilt war, ist noch ein weisser Fleck in der Geschichte unseres Dorfes.

ANTONIUS FRANCISCUS BRANCA
BRISAGI ANNO MDCCXIV NATUS
NORICAM A MDCCXXIX
PETROPOLIM A MDCCXLIII
MERCATURAE STUDIO PROFECTUS
LABRONE A MDCCLXVII CONSEDIT
REDITU ILLUC PATRIA A MDCCLXXVIII
MEDIOLANI PER AEGRITUDINEM INTERCEPTO
HIC SEPELIRI EX TESTAM VOLUIT
ANTE ARAM DEIPARAE
CUI LOCUM HUNC
IAM RELIGIONE POPULI SACRUM
PATRONATUS IURE AB SE ACQUISITUM
ANTERIORE TEMPLU FUNDITUS EXTRUCT

Grabplatte A.F. Branca, Kirche Sacro Monte Brissago                                  



Gefangene werden angeschmiedet. Geschäftsherren überwachen die Bereitstellung ihrer "Produktionsmittel".


Das Sklavereiwesen in Mittelmeer und Ostsee vom 16. zum 19. Jahrhundert wird vom öffentlichen Interesse hierzu-lande und bei hiesigen Seglern vielleicht deshalb nur am Rande beachtet, weil es überblendet wird von der gesamtabendländischen Untat der Verschiffung von 10 Millionen schwarzhäutigen Menschen aus Westafrika als Sklaven in die Karibik, nach Lateinamerika und Nordamerika.

 



 


Wie es dazu gekommen ist, sei hier kurz zusammengefasst. Die Aus- beutung der Schätze der von Kolumbus und anderen spanischen, portugiesischen und holländischen Entdeckern durchstreiften Gebiete erforderte grosse Mengen Arbeits-kräfte. Die einheimische Bevöl-kerung im so genannten Westindien war dem nicht gewachsen. In kurzer Zeit starb sie aus. Bartholomé Las Casas, ein Dominikanermönch schrieb, von Nächstenliebe getrieben, an Kaiser Karl V. in Spanien einen ergreifenen Bericht über die „Verwüstung der Westindischen Länder“. Darin beschrieb er die Anfälligkeiten der Eingeborenen für Erschöpfung und einge-schleppte Krankheiten und forderte deren Schonung. Sie seien nicht so robust wie die Schwarzen Sklaven, die man unterwegs an der westafrikanischen Küste sich angeeignet hat. 

So brach die Jagd los auf die Bewohner Westafrikas, ihre Lagerung, das Geschäft mit ihrer Verfrachtung übers Meer, und ihr Verkauf auf die Plantagen der „neuen Welt“. Eine fast 400 Jahre dauernde Vernichtung der Menschenwürde von unvorstell-barem Ausmass. Änliches spielte sich ab in portugiesische und niederländisch Indien.

 

Der Wirtschaftsstandort Schweiz blieb nicht müssig. Der Staat Bern investierte in Aktien von Sklaven-handlungsbetrieben. Herrschende Familien verschiedener Schweizer Kantone betrieben Banken und Handelskontore zur Förderung von Sklavenhandel und Verschiffung. 

 



 


Schweizer Reeder rüsteten Sklaventransportschiffe aus. Kolonisten aus vornehmen Schweizer Familien gründeten, erwarben oder verwalteten Plan-tagen und Faktoreien, in denen sie Sklaven hielten. 

 



 


 war 1863, die Schweiz druckte schon eigene Briefmarken und prägte schon einheiliche 5-Frankenstücke, als der Bundesrat sich vom Sohn eines seiner Mitglieder, dem Afrika-reisenden Werner Munzinger Pascha über die offenbar den Schweizer Landesvätern noch nicht geläufige Erkenntnis aufklären liess, dass „auch der Neger zur Freiheit geboren ist“

 Die Untat des Abendlandes ist einzigartig in Dauer und Umfang; nicht aber im Prinzip. Auch Afri-kaner versklavten Afrikaner. Arabische Seefahrer exportierten Sklaven aus Ostarika nach Arabien und in den Persischen Golf.

 

Sklaven zu Schiff wurden auch über den Lago Maggiore gefahren. Sogar noch in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg: Kindersklaven. 9 – 12-jährigen Kaminfegersklaven - Spazzacamini - aus dem Tessiner Centovalli und dem daran an-schliessenden italienischen Val Vigezzo. Im Winter wurden die schmächtigsten Knaben ihren darbenden Eltern von herum-reisenden Agenten abgekauft. Im Frühjahr gesammelt und über den Cannobinapass hinunter nach Cannobio getrieben, wo sie erschöpft, zum teil barfüssig, ankamen. Aus Vaters eigener Kinderzeit waren sie mit Kaminfegergeräten ausgerüstet: eiserner Besen, Stachelbeer-baumbürste, Rasselketten, Seil. Von einem Knaben wird berichtet, dass er so dünn und klein war, dass er beim Anmarsch nicht hätte mithalten können. Seine etwas ältere Schwester trug ihn in der Gerla, dem Rückentragkorb der Bäuerinnen, zum antiken Hafen von Cannobio. 

 Hier wartete eine Barke, mit der die Knaben dutzend-weise über den See gebracht wurden. Dann gings weiter mit ihnen nach Mailand und Como. In diesen Städten mussten die Kinder als Hausierer durch die Strassen ziehen und mit überlieferten Rufen sich anbieten, ihre kleinen Körper in die Schornsteine zu zwängen, um diese zu entschlacken. 

  Ein Betreuer sorgte, dass sie nicht durch Faulheit das Qualitäts-Immage ihres Her-kommens schädigten, dass sie eine Ecke zu Schlafen fanden und etwas zu essen bekamen. Und das eingenommene Geld abgaben.


Kaminfegerjunge Faustino...vom Bltz erschlagen


Die Schifffahrt ist wohl so alt wie die Sklaverei und die Sklaverei ist wahrscheinlich so alt wie die Schifffahrt, deren Anfänge ebenso im Dunkeln liegen.


Erstaunlich, dass man noch immer freudig und ohne Ironie von der Freiheit der Schifffahrt spricht.             Sitzt man im richtigen Boot, kann Seefahrt denn auch ganz lustig sein. Gibt sie doch Zeit, im Harzduft von fremder Hand geschlagener Wälder dem Gedanken nachzuhängen: Freiheit ist die Unfreiheit der andern.         



 

 

 

 

 

 

 

 

 



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 








 
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